KLANG + REDE - Telemann in Frankreich
26. September / 19 Uhr / GALERIE Oberursel
Karl Kaiser - Traverso / Ena Markert - Gambe / Sólrún Franzdóttir Wechner - Cembalo
https://www.galerieoberursel.de
KLANGBILD + REDE - Metamorphose
17. November / 17 Uhr / GALERIE Oberursel
Johannes Berger - Violoncello und Fotografie
Anna Kaiser - Violine und Text
BACH + Vivaldi / Freiburger Barockorchester / Leitung Gottfried von der Goltz
25./26./28./29. November
Liederhalle Stuttgart / Musikhochschule Würzburg / Konzerthaus Freiburg / Palatin Wiesloch
Es ist Zeit
Es ist an der Zeit
Es wird Zeit
Die Zeit ist gekommen
In meiner Vorstellung war „Zeit“ immer etwas übergeordnet Unbegrenztes. Wenn ich mir aber diese Formulierungen auf der Zunge zergehen lasse, scheint Zeit eher etwas definiertes zu sein. Ein Moment, der kommen wird oder bereits gekommen ist. Ich möchte mich über diese Gedanken austauschen und frage Google, was er denkt. Google denkt, das hätte ich mir eigentlich denken können, an „Die Zeit“ - also an die Wochenzeitung. Das ist interessant: Die Zeit-ung - Auch das fällt mir jetzt zum ersten Mal auf - scheint die Wort-Werdung oder weitere Substantivierung der Zeit. New York Times. Zeitungen verhandeln aktuelle Themen. Das bekräftigt mich in der neu gewonnenen Annahme, dass Zeit eigentlich Gegenwart meint. Eine vergangene Zeit ist dann eben die vergangene Gegenwart. Zugespitzt spricht man dann von Zeitpunkt. Über die Existenz von Zeitpunkten muss ich informiert sein, wenn ich zum Beispiel pünktlich aufstehen möchte. Als im 18. Jahrhundert die ersten Wecker für den häuslichen Gebrauch erhältlich waren, faszinierte das auch viele Komponisten. François Couperins Vertonung klingt täuschend echt.
Zeit scheint also primär etwas punktuelles, ein gewisser Bereich zu sein. Gleichzeitig denke ich an den Freudschen Ausspruch: „Das Unbewusste kennt keine Zeit“ (Sigmund Freud). Die emotionale Welt und das daraus resultierende Erleben und Handeln korreliert tatsächlich nicht immer mit aktuellem Geschehen. Eigentlich fühlt sich Zeit weniger wie eine Aneinanderreihung von Momenten als vielmehr wie eine Kugel an, in der Momente aus allen Zeiten miteinander in Beziehung stehen. So ist die Gefühlswelt häufig bestimmt durch eine gewisse Gleichzeitigkeit. Allerdings ist das Zeitempfinden wieder eine eigene Kategorie. Der Begriff Zeit bleibt dabei einem mehr oder weniger langer Moment zugehörig.
Ich bin noch nicht zufrieden mit dieser Definition und recherchiere den etymologischen Ursprung des Wortes - das bringt mich oft weiter. Zeit stammt von althochdeutsch zit, auch altsächsisch Tijd - daher rührt wohl der Begriff Tide, also die Gezeiten Ebbe und Flut. Ebbe und Flut sind wiederkehrende, große Zeitspannen unterteilende Ereignisse. Ihr Anfang und Ende fließen ineinander über und doch sind zwei grundsätzlich verschiedene Phasen unverkennbar. Georg Philipp Telemann, ab 1721 Wahl-Hamburger, beschäftigt sich in seiner Orchester-Suite „Hamburger Ebb und Flut“ mit dem Phänomen.
Ein Italiener in Großbritannien
Francesco Geminiani wird als Sohn des Geigers Giuliano Geminiani in Lucca geboren. Nach einer Spielzeit am Teatro dei Fiorentini in Neapel (1706/1707) und einer zweijährigen Episode an der
Capella Palatina in Lucca in der Stellung seines Vaters, verlässt Francesco Geminiani seine Heimat 1714 für immer, um in Großbritannien Karriere zu machen.
Den Topos Ein Italiener in Großbritannien illustrieren im 18. Jahrhundert etliche Beispiele. Das florierende öffentliche Konzertleben und optimale Veröffentlichungsbedingungen lockten
italienische Musiker in Scharen in die Kulturmetropole London. Komplementär pflegte das englische Publikum einen regelrechten Kult um italienische Künstler - allen voran Arcangelo Corelli.
Geminiani trat als Corelli-Schüler dessen Erbe an und förderte gleichzeitig eine eigenständige Weiterentwicklung des Violinspiels und der durch italienische Tradition beeinflussten originär
englischen Konvention.
Spätestens ab den 1720er Jahren gehört Geminiani zu den renommiertesten Musikern Londons, unterhält einen regen Schülerkreis und veröffentlicht mit großem Erfolg seine Kompositionen.
Auf diesem Porträt von Thomas Gainsborough lässt sich Joseph Gibbs, vermutlich einer von Geminianis zahlreichen Schülern, mit Kompositionsbänden von Corelli und Geminiani im Bildhintergrund
darstellen:
Die aufgeschlagene Sonate konnte Michael Festing, ebenfalls Geminiani-Schüler, zugeordnet werden. Das Porträt veranschaulicht die Vorbildfunktion der beiden Urväter Geminiani und Corelli sowie
die Verwobenheit von Lehrer-Schüler Verhältnissen und gegenseitiger Einflussnahme.
Geminiani nutzte nicht nur den in Großbritannien herrschenden Corelli-Kult und seine eigene privilegierte Position als italienischer Musiker geschickt zur Selbstvermarktung, sondern pflegte auch
enge Kontakte zu potenten Förderern, veröffentlichte mehrere Traktate und profilierte sich als Veranstalter und Gemäldehändler.
1752 beteiligte er sich an der Gründung der Freimaurergesellschaft Philo-Musicae et Architecturae Societas Apollini, deren Mitglieder die Liebe zur Musik verband.
Ende 1731 kuratierte er eine Abonnement-Konzertreihe im Hickford’s Room in London und in Dublin fungierte Geminiani’s Great Room gleichzeitig als Veranstaltungsort für
öffentliche Konzerte sowie als Abwicklungsstätte für Gemäldeverkäufe.
The Art of Playing on the Violin und die Vorrangstellung des musikalischen Ausdrucks
Mit seinem Traktat The Art of Playing on the Violin, den er 1751 auf eigene Kosten publizierte, leistete Geminiani Pionierarbeit noch kurz vor der Welle von Veröffentlichungen
insbesondere im deutschsprachigen Raum.
Eine ausgeprägte Liebhaberkultur bestimmte die große Nachfrage und erklärt die Fülle an Amateurschulen und rudimentären Musik-Kompendien in England im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in deren
Tradition Geminiani sich einreihen konnte.
Geminianis Art of Playing on the Violin gehört jedoch zu den europaweit ersten Violinschulen mit professionellem Anspruch.
The Art of Playing on the Violin ist in Umfang und Konzeption nicht vergleichbar mit Traktaten des mittleren 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Der Textanteil ist
verhältnismäßig gering und strukturell skizzenhaft, in vielerlei Hinsicht jedoch technisch wie musikalisch präzise und inhaltlich entschieden. Der Text umfasst einige wesentliche Merkmale der
Aufführungspraxis des 18. Jahrhunderts. Im hell erleuchteten Fokus steht dabei der musikalische Ausdruck. Geminiani eröffnet seine Schule mit den poetischen und wegweisenden Worten:
„The Intention of Musick is not only to please the Ear, but to express Sentiments, strike the Imagination, affect the Mind and command the Passions“
1752, ein Jahr nach Erscheinen von The Art of Playing on the Violin veröffentlicht Charles Avison, Schüler und Bewunderer Geminianis, seinen Essay on Musical Expression und
markiert damit die in England aufkeimende musikästhetische Diskussion um Expression in Abgrenzung zu Imitation. Avison gibt dabei Expression klare Vorrangstellung. Auch
Geminiani distanziert sich bereits im ersten Abschnitt seiner Schule vom Violinspiel als bloßer Nachahmung oder Effekthascherei:
„But as the Imitating the Cock, Cuckoo, Owl and other Birds; or the Drum, French Horn, Tromba-Marina and the like (….) and all other Tricks rather belong to the Professors of Legerdemain and
Posture-masters than to the Art of Musick“
Geminiani verfolgt die im 18. Jahrhundert visionäre Vorstellung, musikalischen Ausdruck als primäre und eigenständige Qualität zu begreifen.
Die eigentliche Beschaffenheit von Musical Expression lässt sich in Worten kaum ausdrücken, Avison verweist auf den natürlichen Geschmack und auf das Lernen am Modell:
„After all that has been, or can be, said, the Energy and Grace of Musical Expression is too delicate a Nature to be fixed by Words: It is a Matter of Taste rather than of Reasoning, and is,
therefore, much better understood by Example than by Precept.“
Später im Text huldigt er seinem „greatest in instrumental music“ Vorbild Geminiani:
„There is such a Gentleness and Delicacy in the Turn of his musical Phrases, such a natural Connection in his expressive and sweet modulation throughout all his works, which are every where
supported with so perfect Harmony, that we can never too often hear, or too much admire them“
Die herausragende Bedeutung des Ausdrucks als höchstem Zweck von Musik schlägt sich auch in der durch Geminiani geprägten Begrifflichkeit Ornaments of Expression als Bezeichnung für
Verzierungen nieder. Geminiani listet bereits in seinem 1749 veröffentlichten Traktat Treatise of good taste in the Art of Musick, anhand dessen der Ausführende sich in der Kunst der
Verzierung und Variation üben soll, eine reichhaltige Auswahl an Ornamenten auf. Die Textpassage wird in The Art of Playing on the Violin wörtlich übernommen. Jedem Ornament ordnet er
dabei einen spezifischen Ausdrucksgehalt oder mehrere Ausdrucksvarianten sowie eine akribische Anweisung zur technischen Ausführung zu. Beispielsweise kann der Turned Shake in zwei
Schattierungen angewendet werden:
„The turn’d Shake being made quick and long is fit to express Gaiety; but if you make it short, and continue the Length of the Note plain and soft, it may then express some of the more tender
Passions“
Unter den Ornaments findet sich auch eine eingehende Beschreibung des Vibratos (Close Shake). Geminiani unterscheidet zwei Modi, die sich in Amplitude und Frequenz nach der musikalischen
Intention richten. Ein langsames, gleichmäßiges Schwingen eignet sich für einen majestätischen, würdevollen, ein engeres Beben für einen ängstlichen Affekt.
An siebter und achter Stelle der Ornamenten-Liste führt Geminiani das swelling and softening einer Note an. Er verwendet dafür ein eigenes Zeichen, das bereits in den 1712 in Paris
veröffentlichten 12 Sonaten für Violine und B.c. Op. 1 von Giovanni Antonio Piani auftaucht. Piani nutzt das Zeichen für drei unterschiedliche Klangmodulationen:
Nachts sind alle Katzen grau.
In meinem Nachdenken über die Nacht frage ich mich immer wieder, was dieser Spruch eigentlich bedeutet. Ich frage Wikipedia. Wikipedia weiß alles. Wikipedia sagt (unter anderem):
"Wörtlich bedeutet es, dass das Tagsehen von Menschen, also das Sehvermögen bei ausreichender Helligkeit, differenziert ist, während die Dämmerung zum Verblassen sämtlicher Farben führt."
Allzu trocken, allzu wissenschaftlich, allzu täglich…
Nachts sind alle Katzen grau heißt vielleicht auch: Die Nacht nivelliert dualistische - oder überhaupt trennende - Gesetzmäßigkeiten. Polarisierende Kategorien werden aufgehoben.
Schwarze Katzen, weiße Katzen, getigerte Katzen, dreifarbige Katzen - alle erscheinen unseren Augen grau, alle erscheinen gleich. Die Nacht beeinträchtigt also unser Erkenntnisvermögen- wenn sie
es nicht gar aushebelt - denn tatsächlich sind diese Katzen nicht alle grau, wir können sie nur nicht mehr wahrhaftig identifizieren. Die Wahrnehmung gaukelt uns eine Scheinrealität vor, so wie
die Menschen in Platons Höhlengleichnis vermeintliche Realität erst durch den schmerzhaften Blick in Licht als Schattenbilder entlarven.
In unserem Spruch allerdings wird das Scheinbare zur Wirklichkeit. Nachts SIND alle Katzen grau - so heißt es. Wir tauchen in eine andere Welt, eine undurchsichtige, unbenennbare, unergründliche
Sphäre von Wirklichkeit. Hier gelten keine Gesetze, die wir kennen oder gar machen. Hier herrscht Unordnung, hier herrscht Chaos.
„Das Chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt“ (Karl Kraus)
Gestatten? Nyx - Göttin der Nacht.
Sie ist eine der direkt aus dem Chaos entstandenen Gottheiten. Sie ist die Mutter einiger Kinder, die sie mit ihrem Bruder Erebos (Finsternis) gezeugt hat, wie beispielsweise Hemera (Göttin des
Tages) aber auch Schauergestalten wie den Moiren, die unseren Lebensfaden spinnen und damit über das Ende bestimmen und einiger, die sie aus sich selbst - also ohne männlichen Partner -
hervorgebracht hat. Zu diesen souverän geborenen Kindern gehören auch Hypnos (Schlaf) und Thanatos (Tod). Der Tod ist also im wörtlichen Sinn Schlafes Bruder…
Aber zurück zu Nyx: Sie ist rätselhaft. Niemand weiß mit Sicherheit, was sie eigentlich tagsüber macht, selbst Zeus fürchtet sie, schenkt ihr aber ein Gespann mit vier schwarzen Pferden, mit dem
sie nachts über den Himmel braust - insgesamt also eine beeindruckende Frau.
Dennoch baut kaum jemand Tempel für sie oder erfindet Zeremonielle. Dabei gäbe es ohne sie weder den Tag noch den Tod, auch der Äther (Luft) stammt von ihr ab. Sie gehört also zum Ursprung der
mythologischen Weltordnung. Ähnlich wie Maria Mutter Gottes - ebenfalls souveräne Gebährerin - das Fundament der christlichen Weltordnung maßgeblich mitgestaltet. Übernimmt Maria Mutter Gottes
deswegen Nyx’ Attribute: Sternenumhang und Mondsichel?
Auch die biblische Weltordnung beginnt mit Chaos und Finsternis (so lesen wir in der Genesis). Etliche biblische Schlüsselmomente, Erscheinungen, spirituelle Ekstasen ereignen sich nachts.
Erst vor nachtschwarzer Kulisse entfaltet ein religiöses Ereignis wirkliche Strahlkraft
Fanny Hensel (1805 - 1847)
„Ein besseres Publikum kann man wirklich nicht haben. Ich schreibe auch jetzt viel; nichts spornt mich so an als Anerkennung wogegen mich Tadel mutlos macht und niederdrückt. (…) Es kostet uns
einen schweren Kampf von Rom fortzugehen; Ich hätte nie gedacht, dass es mir einen so tiefen Eindruck machen würde. Ich will gar nicht verhehlen, dass die Atmosphäre von Bewunderung und
Verehrung, von der ich mich hier umgeben sehe, wohl etwas dazu beitragen mag, ich bin in meiner frühen Jugend lange nicht so angeraspelt worden wie jetzt und wer kann leugnen, dass das sehr
angenehm und erfreulich ist?“ (Fanny Hensel, 1839)
Welcher Deutsche kennt sie nicht - die Sehnsucht nach Italien? Doch welchen Wandel muss der Aufenthalt 1839/40 im Land, wo die Zitronen blühen für Fanny Hensel bedeutet haben? Es ist ein
Erweckungserlebnis, der Beginn ihrer Emanzipation. Erst in den Jahren danach macht sie wirklich von der künstlerischen Freiheit Gebrauch, eigene Werke unter eigenem Namen zu veröffentlichen. In
Rom stößt sie auf vorbehaltlose Anerkennung durch Publikum und andere Komponisten wie dem deutlich jüngeren Charles Gounod, der sie geradezu anbetet. Zum ersten Mal erlebt sie sich
uneingeschränkt als Künstlerin. Die Sehnsucht nach Italien erwacht allerdings schon deutlich früher in ihrem Leben. 1822 unternimmt die Familie Mendelssohn eine Reise in die Schweiz, wo die
übermächtigen Alpen das gelobte Land noch verbergen und nur ahnen machen.
„Die Idee des Landes, welches hinter jenen Gebirgen beginnt, die fühlbare Nähe Italiens, der kleine Umstand, daß die Landleute alle in Italien waren, Italienisch reden und den Wanderer mit den
süßen Lauten der lieblichen Sprache begrüßen, rührte mich unendlich. Wäre ich an diesem Tage ein junger Bursch von 16 Jahren gewesen, bei Gott! Ich hätte zu kämpfen gehabt, um keinen dummen
Streich zu begehen.“ (Fanny Mendelssohn, 1822)
Wäre sie ein Bursche gewesen, wäre ihr Leben vermutlich ohnehin gänzlich anders verlaufen…
Auf jener Reise durch die Schweiz komponiert die Sechzehnjährige das Lied „Sehnsucht nach Italien“ auf einen Text von Johann Wolfgang von Goethe.
1822 hatte Fanny bereits ihren zukünftigen Ehemann Wilhelm Hensel kennen gelernt. Zur Hochzeit kam es allerdings erst 1829, nachdem der Maler einen fünfjährigen Studienaufenthalt in Rom und das
damit auferlegte Kontaktverbot zu Fanny hinter sich gebracht hatte. Die beiden Verliebten durften lediglich durch eine Korrespondenz zwischen Wilhelm und Fannys Mutter Lea in schriftlicher
Verbindung bleiben.
Nach der lange ersehnten Heirat bezieht das Paar den Gartentrakt der Leipziger Straße 3 in Berlin, einem Anwesen der Familie Mendelssohn und führt eine harmonische Ehe. Wilhelm unterstützt Fanny
bedingungslos, auch in ihren Bedürfnissen als Künstlerin. Die kleine Familie wird durch einen einzigen Sohn ergänzt, getauft auf den Namen Sebastian Ludwig Felix - eine Hommage an Johann
Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und den geliebten Bruder Felix.
1841, ein Jahr nach dem kostbaren Italienerlebnis entsteht das Gemeinschaftswerk „Das Jahr“ mit 12 Charakterstücken für Klavier Solo Fanny Hensels sowie Gedichten und Zeichnungen Wilhelm Hensels.
Das Jahr verarbeitet die berauschende Wirkung der neuen Eindrücke, aber auch die Melancholie ob derer Vergänglichkeit.
Fannys Schwermut über die herannahende Heimreise drückt sich dringlich in einem noch während der Reise entstandenen Klavierstück mit dem Titel „Abschied von Rom“ aus. Das Stück ist Teil eines
Reise-Albums, einer Art musikalischem Reisetagebuch, das Fanny selbst zusammenstellt.
Fanny und Felix
„Ich bin ganz ruhig, lieber Felix, und dein Bild steht neben mir; aber indem ich deinen Namen niederschreibe und du mir so ganz vor leiblichen Augen stehst, weine ich (…). Ich habe zwar immer
gewusst, dass nichts kommen könnte, dass ich nichts Neues lernen würde, was dich auch nur für den zehnten Teil eines Augenblicks aus meinem Gedächtnis entfernen könnte, ich freue mich aber, es
nun erlebt zu haben und ich werde dir morgen und in jedem Moment meines Lebens dasselbe wiederholen können, und glaube nicht, Hensel damit Unrecht zu tun. Und dass du mich so liebst, das hat mir
einen großen inneren Wert gegeben und ich werde nie aufhören, sehr viel auf mich zu halten, so lange du mich liebst.“
Diese Zeilen richtet Fanny am Tag ihrer Hochzeit an ihren Bruder Felix, der unglücklicher Weise nicht zugegen sein kann. Für den heutigen Leser mag die Innigkeit und Zärtlichkeit ihrer Worte
inzestuös anmuten, im 19. Jahrhundert jedoch ist diese Form der Romantisierung geschwisterlicher Liebe durchaus im Rahmen des Normalen. Und doch scheint eine aus heutiger Sicht toxische
Abhängigkeit und Überhöhung des Bruders zwischen den Zeilen hindurch. Felix wird in Fannys Leben einerseits Motor und Inspirationsquelle ihres künstlerischen Schaffens, andererseits gestrenger,
über ihre gesellschaftlich vorbestimmte Rolle wachender Patriarch sein. Mit dem Tod des Vaters 1835 tritt Felix die Rolle des Familienoberhauptes an. Wenn der Vater bereits 1820 gegenüber seiner
Tochter Fanny unumstößlich feststellt…:
„Die Musik wird für ihn (Felix) vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, niemals Grundbass deines Seins und Tuns werden kann und soll; ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich
geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm sehr wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher nachzusehen, während es dich nicht weniger ehrt, dass du von jeher dich in diesen
Fällen gutmütig und vernünftig bezeugt und durch deine Freude an dem Beifall, den er sich erworben, bewiesen hast, dass du ihn dir an seiner Stelle auch würdest verdienen können. Beharre in
dieser Gesinnung und diesem Betragen, sie sind weiblich und nur das Weibliche ziert die Frauen.“ (Abraham Mendelssohn an Fanny)
…so tut Felix nur, was von ihm als Mann und Bruder erwartet wird, wenn er über jegliche Wünsche und Träume Fannys hinweggehend behauptet (wenn auch mit einem Hauch von Verständnis für die
Ausweglosigkeit ihrer Situation):
„Mir tut es Leid, dass sie (Fanny) seit ihrer Verheiratung die Komposition nicht mehr so fleißig treiben kann, wie früher, denn sie hat mehrere Sachen, namentlich deutsche Lieder komponiert, die
zum allerbesten gehören, was wir von Liedern besitzen; doch ist es wieder auf der anderen Seite gut, dass sie an ihrem Hauswesen viel Freude findet, denn eine Frau, die es vernachlässigt, und sei
es nun für Ölfarben oder für Reime oder für doppelten Kontrapunkt erinnert mich immer unwillkürlich an das Grec aus den Femmes Savantes und ich habe Furcht davor. Das ist nun also Gottlob nicht
der Fall bei meiner Schwester..“ (Brief an die Pianistin Marie Bigot, bei der Fanny und Felix 1816 während eines Paris-Aufenthaltes Unterricht genommen hatten)
Felix ist alles andere als ein Frauenfeind, auch schaffende Frauen sind für ihn an sich kein Anlass zur „Furcht“. Als er 1827 die 1815 geborene Pianistin, Sängerin und Komponistin Josephine Lang
kennen lernt, rät er ihr, nach Berlin überzusiedeln, um sich dort unter anderem von seiner Schwester Fanny weiter ausbilden zu lassen. Auch bei der Veröffentlichung ihrer Lieder leistet er einen
erheblichen Beitrag. Jedoch ist Josephine keine Frau, für deren gesellschaftliche Rolle er sich verantwortlich fühlt. Es gilt zu bedenken, dass die Kinder Mendelssohn 1816 christlich getauft
wurden. Der Antisemitismus sorgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts für heftige Unruhen und versetzte auch die Familie Mendelssohn in Bedrängnis. Gewiss gehört die Sorge, die Tochter könnte durch
unsittliches Verhalten, wie das „Sich-in-der-Öffentlichkeit-Produzieren“, ein schlechtes Licht auf die Familie werfen, zu einem nachvollziehbaren Anpassungszwang, wie er in vielen
bürgerlich-jüdischen Haushalten zu beobachten ist. Vater Abraham Mendelssohn war loyaler Preuße, der sich nicht scheute, in die eigene Tasche zu greifen, um Freiwillige im Kampf gegen Napoleon
aufzurüsten. Das Bestreben, eine makellose bürgerliche Familie zu führen, bedeutete für Fanny, sich mit einer Rolle als Hausfrau und Mutter abzufinden. Gleichzeitig diente Bildung als
essentielles Akkulturations-Vehikel, weswegen die formidable Ausbildung, die Fanny in ihrer Kindheit und Jugend genießt, wenig überrascht. Sie ist nicht nur ausgezeichnete Pianistin und
Komponistin, sondern auch belesen, mehrsprachig und allgemeingebildet. Ihr literarisches und intellektuelles Talent - ein Erbstück der Familie: man denke an Großvater Moses Mendelssohn,
Aufklärungsphilosoph, oder an die schriftstellerisch tätige, hochtalentierte Tante Dorothea Schlegel - zeichnet sich deutlich in Fannys klugen und poetischen Briefen ab.
Die Geschwister Fanny und Felix bewegen sich in einem Spannungsverhältnis von grenzenloser Liebe und Verehrung und gegenseitiger Abhängigkeit. Kann es Zufall sein, dass Felix seine Schwester, die
1847 an einem Hirnschlag stirbt, um kaum ein halbes Jahr überlebt? Er komponiert in dieser letzten Lebenszeit noch sein Streichquartett f-Moll, ein zutiefst abgründiges, düster beklemmendes Werk.
Felix veranlasst nach dem Tod seiner Schwester die Herausgabe mehrerer ihrer Werke (Op. 8-11) und entschließt sich damit im letzten Moment zu dem, was er ihr zu Lebzeiten nicht gewähren konnte.
Auch Wilhelm Hensel bleibt in schwerer Depression zurück, in den 15 Jahren, die er ohne Fanny auf der Erde weilt, malt der einst erfolgreiche, fleißige Künstler kein einziges Bild mehr.
Sonntagsmusiken
Obgleich Frauen der Zugang zu öffentlichem Auftreten in erdrückend vielen Fällen verwehrt blieb, gab es zumindest einen halböffentlichen Raum, wo sie als Protagonistinnen agierten: Der
Salon.
In Fannys Familie und Umfeld gibt es dafür etliche Beispiele und Vorbilder. Zum Dunstkreis der Mendelssohns gehören nicht nur Rahel Varnhagen und Henriette Herz, deren literarische Salons zu den
legendärsten des 19. Jahrhunderts zählen, sondern auch Fannys Großtante Sarah Levy, ihre Tante Dorothea Schlegel und ihre Großmutter Bella Salomon. Sarah Levy führte einen musikalischen Salon,
der für die Pflege und den Erhalt der Musik Johann Sebastian Bachs Unermessliches geleistet hat. Daran anknüpfend veranstaltete schon Fannys Großmutter Bella Salomon Hausmusiken und szenische
Bilder, die in ihrer Tochter Lea weiterlebten. Die große Bedeutung Johann Sebastian Bachs im musikalischen Leben der Kinder Fanny und Felix geht sicher auch sowohl auf Leas Begeisterung für Bachs
Musik als auch den Einfluss der Großtante Sarah Levy zurück. Bei der Geburt Fannys soll Lea freudig ausgerufen haben, das Kind habe „Bachsche Fugenfinger“. Fanny beherrscht im Alter von dreizehn
Jahren dann tatsächlich das „Wohltemperierte Klavier“ vollständig und auswendig, was sie anlässlich des Geburtstages ihres Vaters präsentiert. Die Mendelssohnschen Sonntagsmusiken dienen zunächst
vor allem dazu, dem Talent der offensichtlich hochbegabten Kinder Fanny und Felix eine Bühne zu bieten. 1829, Fanny hat inzwischen geheiratet und Felix bestreitet seine ersten Künstlerreisen,
übernimmt Fanny dann die Leitung der teilweise hochkarätig und stark frequentierten Konzertveranstaltungen im Gartenhaus der Leipziger Straße 3.
„Vorigen Sonntag war auch bei uns die brillanteste Sonntagsmusik, die, glaube ich, noch jemals stattgefunden hat, sowohl was Aufführung und Publikum betraf. Wenn ich dir sage, dass zweiundzwanzig
Equipagen auf dem Hof und Liszt und acht Prinzessinnen im Saal waren, so wirst du mir die nähere Beschreibung des Glanzes in meiner Hütte kaum erlassen“
So schreibt Fanny 1844 an ihre Schwester Rebecca, selbst versierte Sängerin und Interpretin von Fannys Liedern. In den Sonntagsmusiken tritt Fanny nicht nur als Veranstalterin, sondern auch als
Dirigentin und Komponistin auf.
„Die Proben zu den Aufführungen, welche Frau Hensel am Klavier dirigierte, fanden gewöhnlich Samstag Abend statt, und da nur sehr geübte Sänger mitwirkten, bedurfte es kaum ein- oder zweimaligen
Durchsingens und einer kurzen Abrede. Am darauffolgenden Sonntag, zwischen 11 und 2 Uhr, war die Aufführung vor großer Gesellschaft in dem sehr geräumigen Gartensaal. In der warmen Jahreszeit
standen die Glastüren offen und während der Pausen wandelten Sänger und Gäste unter den mächtigen Baumgruppen des sich bis nahe an die Stadtmauer streckenden Gartens. Hensels Atelier stieß an
eine Seite des Musiksaals und durch die Flügeltüren sah man eines oder mehrere seiner historischen Bilder aufgestellt. (…)Fast alle berühmten Künstler, die Berlin besuchten, erschienen Sonntags
einmal mitwirkend oder zuhörend bei Frau Hensel…Mehr als die größten Virtuosen und die schönsten Stimmen, die ich dort hörte, galt mir der Vortrag Fanny Hensels und ganz besonders die Art, wie
sie dirigierte. Es war ein Aufnehmen des Geistes der Kompostion bis zur innersten Faser und das gewaltigste Ausströmen desselben in die Seelen der Sänger und Zuhörer. Ein Sforzando ihres kleinen
Fingers fuhr uns wie eine elektrischer Schlag durch die Seele und riss uns ganz anders fort, als das hölzerne Klopfe eines Taktstocks auf ein Notenpult es tun kann.“ (Johanna Kinkel 1886 in
Erinnerung an die Sonntagsmusiken)
Wahrscheinlich werden in diesem Rahmen auch Fannys großformatige Werke (Kantaten, Oratorien usw.) aufgeführt. Entgegen Felix’ Annahme komponiert sie unermüdlich, auch wenn ihr das öffentliche
Interesse an ihren Werken schmerzlich fehlt. Selbst als Mutter Lea sich flehend an den Sohn wendet, er möge Fanny darin bestärken, ihre Musik zu veröffentlichen, reagiert dieser ablehnend und
verständnislos.
„Aber ihr zureden, etwas zu publizieren, kann ich nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist…Und zu einer Autorschaft hat Fanny, wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf - dazu ist
sie zu sehr eine Frau, wie es recht ist, sorgt für ihr Haus und denkt weder an das Publikum noch an die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer, wenn jener erste Beruf erfüllt ist.
Darin würde sie das Druckenlassen nur stören und ich kann mich eben einmal nicht damit befreunden“ (Felix Mendelssohn an seine Mutter Lea)
Das allerdings sind Wunschvorstellungen und Zuschreibenden. In Wahrheit leidet seine Schwester an ihrer musikalischen Isolation und dem Mangel an Austausch und Selbstwirksamkeit. Dabei schätzt
Felix Fannys Werke über die Maßen, er hält ihre Lieder sogar für die besten, die je geschrieben wurden… In Jugendjahren veröffentlicht er noch gemeinschaftlich angelegte Liederzyklen (Mendelssohn
Op. 8 enthält drei Lieder aus Fannys Feder: „Suleika“, „Das Heimweh“ und „Italien“, Op. 9 „Sehnsucht“, „Verlust“ und „Die Nonne“).
Auch wenn uns eine gewisse Wehmut befällt angesichts der Widerstände, auf die Fanny Hensel als Musikerin stoßen musste, müssen wir die Tatsache beim Namen nennen, dass sie das Privileg genoss
ohne finanziellen oder öffentlichen Druck komponieren zu können. Sie verfügte über eine entsprechende Ausbildung, lebte an der Seite eines liberalen, künstlerisch schaffenden Mannes und brachte
lediglich ein einziges Kind zur Welt. Während Josephine Lang bereits im Alter von zwölf Jahren bis zu acht Stunden täglich Klavierunterricht erteilte, um das Familieneinkommen aufzubessern, Clara
Schumann sich von Kindesbeinen an einer unberechenbaren Öffentlichkeit stellte, Nanette Streicher-Stein als Siebenjährige ihren Vater auf Geschäftsreisen begleitete, um seine Instrumente zu
präsentieren (um nur wenige Beispiele zu nennen, bei denen Frauen wirtschaftlich auf ihre Musik angewiesen waren), kämpfte Fanny „nur“ mit ihrer musikalischen Einsamkeit. Wenn sie auch für die
Schublade komponierte - sie komponierte. Wenn sie auch nicht öffentlich auftrat - sie war eine exzellente Pianistin. Depression und Euphorie standen auch in ihrem Leben in beinahe symbiotischer
Beziehung, wie dies bei so vielen Künstlerinnen der Fall war. Der berühmte Bruder mag ihr bei aller Liebe und Bewunderung Steine in den Weg gelegt haben - er ist allerdings sicher auch ein
wesentlicher Grund, warum sie über ihren Tod hinaus nicht in Vergessenheit geraten ist.
Franziska Lebruns (1756 - 1791) und Margarethe Danzis (1768 - 1800) Biografien bilden eine nennenswerte Schnittmenge: die bedeutende Karriere als Sängerin, das künstlerische Zentrum des
Mannheimer - später Münchner - Hofs, eine Lehrerin/Schülerin Beziehung sowie ein angeheiratetes Verwandtschaftsverhältnis.
Margarethe Marchand (später Danzi) wird als Tochter des Münchner Theaterdirektors Theobald Marchand geboren. Sie steht schon als Kind schauspielernd, singend und klavierspielend auf der Bühne.
Ihren ersten Unterricht erhält sie bei ihrer späteren Schwägerin Franziska Lebrun (damals noch Danzi). Margarethes offizielles Debüt als Opernsängerin (sie war längst am Mannheimer, dann Münchner
Hof angestellt und als musikalische Kapazität bekannt) feiert sie dann ausgerechnet als Vertretung für Franziska Lebrun 1787 in Abbé Voglers Castor e Polluce. Später wird sie sich vor allem in
Mozartschen Figuren wie Fiordiligi oder Susanna einen Namen machen.
In den Jahren 1781 - 1784 lebt sie gemeinsam mit ihrem Bruder im Hause Leopold Mozart, von welchem die Geschwister musikalisch unterwiesen werden. Leopold berichtet 1782 in einem Brief an
Breitkopf und Härtel:
Unterdessen habe ich eine Unterhaltung mit zwei Schülern, dem 12jährigen Sohne und dem 14jährigen Töchterchen des Herrn Marchand, Theater Directors in München, die bey mir in Erziehung sind,
und ich Hoffnung habe, an dem Knaben einen großen Violin- und Klavierspieler, und an dem Mädchen eine gute Sängerin und vortreffliche Klavierspielerin zu bilden
Leopold ist überzeugt vom Talent der Gretl, wie sie im Dunstkreis der Mozarts heißt, und ermutigt sie zum Komponieren. Sein Versuch, ihre Sonaten für Violine und Klavier bei Torricella in Wien
verlegen zu lassen, scheitert zwar, zeugt jedoch von Leopolds Wertschätzung und Unvoreingenommenheit. Ihre wenigen gedruckten Kompositionen erscheinen später bei Falter in München. Ob die als Op.
1 dort gedruckten Sonaten für Violine und Klavier jene sind, von denen Leopold 1786 seiner Tochter Nannerl berichtet (Ein Briefchen von der Gretl. Und 3 Sonaten von der Gretl…), bleibt
unklar.
Margarethe heiratet 1790 Franziskas Bruder Franz Danzi, Cellist und Komponist am Mannheimer/Münchner Hof. Die Ehe ist für beide ein persönlicher wie beruflicher Segen. Franz liebt und schätzt
seine Frau über die Maßen, die beiden unternehmen mehrjährige Kunstreisen. Nach Margarethes Tod fällt Franz in eine schwere Lebens- und Schaffenskrise, unterbricht vorübergehend das Komponieren
und tritt eine neue Stellung in Stuttgart an. Er fühlt sich nicht mehr in der Lage, Opern zu dirigieren, in denen vormals seine Frau in den Hauptrollen brillierte. Margarethe Danzi muss eine
hochbegabte, charismatische Künstlerin gewesen sein. Die Allgemeine Musikalische Zeitung schreibt 1801 in einem Nachruf über sie:
Ihre Kompositionen sind ganz der Aushauch einer originell denkenden und tief empfindenden Seele.
Franziska Danzi (später Lebrun) wächst musikalisch im Geist der Mannheimer Schule auf. Ihr Vater, Innocenz Danzi, ist Cellist am Mannheimer Hof, ihre Mutter Barbara Danzi, geb. Toeschi, Sängerin,
ihr wichtigster Lehrer (neben den Eltern) Georg Joseph (Abbé) Vogler.
Der Sängerinnenberuf war eines der wenigen künstlerischen Betätigungsfelder für Frauen, in denen sie bedingungslos akzeptiert ja geradezu unverzichtbar waren. Als Sängerin konnte Frau ungehindert
Karriere machen und dafür ist auch Franziska Lebrun ein glänzendes Beispiel. Den ersten öffentlichen Erfolgen der erst sechzehnjährigen wohnt 1772 Charles Burney in Schwetzingen bei und
bemerkt:
Francesca Danzi, ein deutsches Frauenzimmer, deren Stimme und Singart brillant sind; sie hat dabei einen artigen Wuchs, einen guten Triller, und einen Vortrag, der so wahr italienisch ist, als ob
sie ihr ganzes Leben in Italien zugebracht hätte. Kurz, sie ist schon eine sehr angenehme Sängerin und verspricht noch weit mehr; denn sie ist jung und diesen Sommer zum ersten Male aufs Theater
gekommen.
Sie gehört mit ihrem Ehemann, dem Oboisten Ludwig August Lebrun zu den bestbezahlten MusikerInnen am Münchner Hof. Mehrere langjährige Auslandsaufenthalte in ganz Europa, die die Eheleute quasi
lediglich für die Karnevalszeit unterbrechen, um ihren vertraglichen Verpflichtungen im Münchner Ensemble nachzukommen, machen die Primadonna international bekannt. Während eines Londoner
Aufenthaltes entstehen auch die beiden Opera mit jeweils sechs Sonaten für Klavier und Violine (ca. 1780), welche ab 1785 von etlichen renommierten Verlagen in London, Paris, Offenbach, Mannheim
und Amsterdam nachgedruckt werden - die Kompositionen erfreuen sich offensichtlich großer Beliebtheit.
Vom plötzlichen Tod ihres Mannes 1790, mit dem sie eine harmonische und künstlerisch befruchtende Ehe führt, ist sie so tief erschüttert, dass nicht nur ihre Karriere abrupt endet sondern bald
darauf auch ihr Ableben folgt. Seit eineinhalb Jahren in Berlin unter frenetischem Erfolg beispielsweise in Reichhardts Brenno zu hören, stirbt sie im Mai 1791 auf der Höhe ihres Erfolgs. Sie
hinterlässt zwei Töchter, die ebenfalls Musikerinnen werden.
Christian Friedrich Daniel Schubart schreibt noch in den 1830er Jahren über die Künstlerin:
Unter allen bis jetzt lebenden Sängerinnen brachte noch keine ihre Stimme zu der bewundernswürdigen Höhe, als sie; denn sie erreichte mit derselben das dreigestrichene a, und zwar nicht mit
stumpfer Intonirung, sondern mit Klarheit und Deutlichkeit. Die Coloraturen, sie mögen so schwer seyn als sie wollen, bringt sie mit vieler Richtigkeit heraus; nur ist in rührenden und
gefühlvollen Arien ihr Ton nicht dick genug. Sie scheint mehr glänzen, als das Herz treffen zu wollen, auch scheint ihr Geist mehr Neigung zum komischen, als zum tragischen Vortrage zu haben. Sie
war zugleich eine elegante Clavierspielerin und setzte sich für ihr Instrument mehrere Sonaten, die voll schöner Harmonie und innigem Gefühl sind.